Pferdekauf aus Reitlehrer-Sicht

Träumen wir nicht alle ein wenig von “Black Beauty”?

Mit leicht verstrahltem Gesichtsausdruck präsentiert mir das Reitschülerchen freudestrahlend seinen Neuerwerb, innerlich haue ich taktmäßig meinen Kopf gegen eine Wand. „Ähm, du weißt schon, was du dir da angetan hast?“ entfleucht es mir reflexartig, ohne dass ich was dagegen tun kann. Denn so sicher wie das Amen in der Kirche folgt darauf ein völlig verständnisloses „Wieso, der ist doch sooooooo süß!“ als Antwort.

Der Hinweis, dass ich ja meine Hilfe bei der Pferdeauswahl angeboten hatte, und warum ich vor dem Kauf gerade dieses Exemplars nicht gefragt wurde, ist eigentlich obsolet. Schließlich reichte ja ein Blick ins Pferdeauge um wie vom Blitz getroffen zu erkennen, dass hier eindeutig Karma am Werke war und Ross und Reiter in kosmischer Vorhersehung zusammengeführt hatte.

Übersehen wird leider häufig, was an den Kulleräuglein physiognomisch und prospektiv so alles dran hängt: z.B. ein Riesenschädel mit der Arbeitseinstellung eines Faulbären, ein falsch rum angebauter Hals, ein rutschbahnartiger Rücken, krumme Beine, viel, viel, viel Arbeit, Schweiß und Tränen, die wenn´s endlich halbwegs anständig läuft wieder kaum jemand sieht.

Während ich mir noch krampfhaft überlege, wie man da denn überhaupt jemals einen Sattel drauf kriegen soll, in den dann auch hoffentlich noch der Allerwerteste der Reiterin rein passt, träumt die glückliche Neupferdemutti schon von Piaffen, Wanderritten und einer Working Equitation (total „in“ im Moment) -Karriere.

Ich hoffe, hier hat sich keiner wiedererkannt, ich habe nämlich etwas meine Fantasie angestrengt und ein klein wenig übertrieben, aber nur ein klein wenig. Reichlich schauerlich faszinierend ist es nämlich auch im realen Leben immer wieder, welche equidenartigen Lebewesen von Menschen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte so angeschleppt werden. Die haben zumeist völlig vernünftige, total auf ihre Bedürfnisse angepasste Autos, aber bei der Pferdewahl scheint jeder gesunde Menschenverstand schlagartig zu verpuffen. Den Emotionen wird freier Lauf gelassen, die Ernüchterung folgt dann später!

Mögliche Ernüchterung 1: Das arme Tröpfchen weiß seine Rettung einfach nicht gebührend zu schätzen, ist garstig beim Reiten und die Tierarztkosten fressen mein Konto leer.

Mögliche Ernüchterung 2: Der Sportpferde-Ferrari ist scheinbar doch ein wenig überfordert mit meinen tölpelhaften Reitanfänger-Fähigkeiten und meine Unfallversicherung droht mir mit der Kündigung, wenn ich da nochmal drauf steige.

Mögliche Ernüchterung 3: Irgendwie will das mit meinem Kugelstoßer-Kaltblut und dem Ballett-Tanzen nicht so recht klappen.

Ich weiß, in Reitlehrers Utopia sind alle glücklich, im Publikum applaudieren rosa Elefanten, der Reithallenboden besteht aus buntem Glitzer und alle Fürze riechen nach Gummibärchen! Aber so ein wenig mehr Selbstreflektion, Sorgfalt und Weitsicht könnt man beim Pferdekauf doch mal an den Tag legen. Auch wenn der vierjährige zibbelige Spanier mit dem Gummirücken das schönste Pferd im gesamten Verkaufsstall ist, verpflichtet das noch lange nicht dazu, einen Kaufvertrag zu unterschreiben. Insbesondere nicht, wenn man gerade mal so in allen drei Grundgangarten oben bleibt und „Travers“ laut Duden mit „quer gestreift“ übersetzt wird.

Selbstüberschätzung ist quasi die ergiebigste Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für deinen Reitlehrer. Im Zweifelsfall hat ER/SIE dann nämlich erstmal ein hoffentlich tolles Pferd zu reiten! Nicht so toll findet es euer Reitlehrer übrigens, wenn ihr was gemeingefährliches zum bändigen anschleppt, obwohl dank Ostwind ja heute jedes Pferdemädel weiß, dass selbst die schlimmste posttraumatische Belastungsstörung mit Liebe, Leckerlies und Pummeleinhorn-Bandagen locker zu beheben ist. Ähm, leider NEIN!

Und dann am besten erstmal noch selber ne Weile dran rum wurschteln und Peitscht, Sporen und Schlaufzügel durch Leckerlies und Wattebäuschen ersetzen, bis die arme gequälte Seele zu allem Überfluss auch noch mit nem Kulturschock in Therapie gegeben wird.

Schön ist es natürlich, wenn man die Beritt-Kosten beim Ausbilder seiner Wahl mit einkalkuliert. Dann hat man wenigstens kein im Schnellverfahren vergewaltigtes Überraschungsei, das bei weniger durchsetzungsstarker Hand (oder sattelfestem Hintern) den Spieß nur zu gerne mal umdreht. Aber leider kucken die meisten doch eher wie ein Auto, wenn man ihnen erstmal mindestens 2 Monate Beritt statt die gebuchte einstündige Wunderheilung in Aussicht stellt. Schnäppchen-Haus-Pferden zum selber renovieren rentieren sich eigentlich nur, wenn man selbst Zimmermann, Fliesenleger und Gas-Wasserinstallateur ist, aber nicht, wenn man nur in Philosophie promoviert hat. Vorausgesetzt, der Holzwurm hat nicht sowieso schon die Oberhand gewonnen und die Bude kann nur noch abgerissen werden.

Beim Haus ist das letztendlich nur ein Sachschaden, beim Pferd leidet ein Lebewesen. Weil so viele Leute sich hier ihrer Verantwortung entziehen und es nicht bis zur (Früh)Rentnerkoppel auf dieser Welt, oder den ewigen Jagdgründen in der nächsten Welt durchziehen, machen so viele traurige „Wanderpokale“ die Runde. Lieber vorher drüber Nachdenken, ob man für solch ein Pferd die Fähigkeiten, die finanziellen Mittel und das Durchhaltevermögen hat. Wenn du das mit „Ja“ beantwortest und bewusst ein Pferd „retten“ möchtest, hast du natürlich meinen vollen Respekt und auch meine Unterstützung! Andererseits gibt es aber auch viele gesunde und unverdorbene Pferde die genauso einen schönen Lebensplatz verdient haben, man muss sich nicht mit jedem Projekt belasten!

Merke: Schnäppchen gibts beim Pferdekauf nicht! Billige Pferde haben meist einen Mangel an Ausbildung, Talent, Benehmen oder Gesundheit. In der Regel bezahlt man das im Nachgang teuer!

Für den jeweiligen Einsatzzweck gut durchgeszüchtete Pferde mit einwandfreier Aufzucht und korrekter Ausbildung sind zwar teurer, aber dafür sind sie meistens auch haltbarer, leichter auszubilden und in aller Regel auch von einem schwächeren Reiter problemloser zu bedienen. Dein Reitlehrer freut sich da auch total drüber, weil er dir mit solch einem Co-Trainer so viel schneller so viel mehr beibringen kann. Genauso freut er sich, wenn ein ambitionierter fortgeschrittener Reiter ein Pferd hat, das für die fortgeschrittene Arbeit auch taugt. Der Reitschüler kann noch so einen goldenen Allerwertesten haben, mit einem speckhalsigen Norweger vom alten Schlag wird er einfach nicht in die hohen Weihen der Dressur emporsteigen können. Aus nem Traktor wird kein Ferrari. Ein Ferrari ist allerdings auch total unpraktisch, wenn ich 2 Kinder, zwei Pferde und nen Hund habe und einmal die Woche nen Großeinkauf im Supermarkt mit der Oma mache. Vielleicht doch lieber ein solider VW Golf Kombi?

Merke: dem zügigen Weiterkommen ist es dienlich, wenn zumindest einer eine Idee von der Materie Reiterei hat. Kommt noch ein gewisses Talent für die angestrebute Sparte hinzu, kann man so richtig durchstarten.

Da freut sich dann auch dein ambitionierter Reitlehrer, der sich eines gewissen beruflichen Ehrgeizes zumeist nicht erwehren kann. Er/Sie möchte dir gemeinhin für das Geld, das du bezahlst, auch was beibringen – und zwar noch in diesem Leben und nicht mit der Hoffnung auf das nächste. Auch wenn „vom ungeordneten Fleischtransport zur Reitkunst Pferd-Mensch-Experimente“ natürlich zumeist gute und langfristige Kundschaft sind, neigt der Reitlehrer seinen Nerven zuliebe nach ein paar Jahren im Job dazu, sich nicht mehr mit jedem „Projekt“ befassen zu müssen. Klar, weder der Reiter und schon gar nicht das Pferd müssen ihr volles Potential entfalten, aber das vergisst dein Reitlehrer im beruflichen Sendungsbewusstsein nur zu gerne.

Wobei Paar-Therapeut Mensch-Pferd ja auch ein Talent ist. Man muss ja nicht immer Piaffe, Passage und fliegende Wechsel beibringen *hüstel*. Und wenn der Reit-Legastheniker mit dem ausgedienten stracken Springgaul dann irgendwann elfengleich durch die Halle schwebt, oder die trampellige ignorante Dampfwalze plötzlich zum Streber mutiert, geht mir das Herz auf.

Glücklicherweise haben mich mittlerweile schon so viele vermeintlich hoffnungslose Fälle überrascht, dass ich hier mit einer gewissen weitsichtigen Gelassenheit antrainiert habe. Im Hinterkopf tönt aber oft eine Stimme: “Das hätte wir so viel einfacher haben können!”

Diese 3 Fragen sollte man sich vor dem Pferdekauf mindestens stellen:

Frage 1: Was will ich?

Frage 2: Was kann ich?

Frage 3: Was bin ich bereit dafür auszugeben?

Frage 3 korreliert eng mit dem Kontostand, die Beantwortung von Frage 1 und 2 sollte zu selbigem passen. Falls nicht, könnte man drüber nachdenken, nochmal ein Jahr zu sparen und dann auf Pferdesuche zu gehen.

Eine tolle Übung für noch-nicht-Pferdebesitzer ist, einfach mal jeden Monat 700 € oder mehr auf ein Konto einzuzahlen. So kann man schon mal üben, was mit einem Pferd monatlich so auf einen zukommen kann. Wenn man dann noch möchte, hat man den Anschaffungspreis für ein ganz ordentliches Pferd schon zusammen. „Mehr konnte ich mir nicht leisten“ zählt also nicht! Und schon gar nicht, weil eine gewisse Liquidität ohnehin Pflicht ist, denn die nächste Tierarztrechnung kommt bestimmt …

Wenn es Schwierigkeiten mit Frage 1 oder 2 gibt, dann frag einfach jemanden, der Ahnung davon hat (z.B. deinen Reitlehrer). Der wird dir sagen, was du wollen sollen könntest weil du können tun tätest. Und wenn du dir emotional nicht traust und vermeiden möchtest, doch den bösen schwarzen Hengst oder das abgemagerte verbaute Pony mit Heim zu bringen, dann nimm dir einen sachdienlichen Kaufberater mit! Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er weiß, was du brauchst und nicht, was er selber toll findet. Außerdem redet er dir Pferde eher kritisch aus als dir nach dem Mund zu schwätzen und alles toll zu finden was 4 Hufe hat. Dann musst du dich nur noch ordentlich am Riemen reißen und den Ratschlägen auch nachkommen. Ich weiß, die schwerste Übung, wenn die alle soooooo süß kucken.

Dialog mit einer Reitschülerin: „Du weißt schon, dass du mit dem nicht heim gekommen wärst, wenn du mich gefragt hättest?“ „Ja, deshalb hab ich dich ja auch nicht gefragt!“ … auch ne Möglichkeit.

Aber selbst wenn es keine Vetokarten von deinem Umfeld gibt, warte noch den TÜV ab. Erst wenn das Pferd anstandslos durch die Ankaufsuntersuchung gegangen ist, kannst du die Endorphin-Invasion loslassen. Vorher jede emotionale Bindung angestrengtestens verhindern! Es ist immer wieder faszinieren, wie sich Reiter selbst einen IIIer TÜV noch schön reden können, nur weil sie den Gaul unbedingt haben wollen.

Die erste vierstellige Rechnung der Tierklinik kommt zwar ohnehin häufig schneller als man kucken kann, aber ich würde dazu raten, sowas nicht schon sehenden Auges mit zu kaufen.

So, das wären wohl die wichtigsten Punkte und glaubt mir, von dem Thema hab ich echt Ahnung! Als ich vor etlichen Jahren einen Neuerwerb freudestrahlend meiner damaligen Reitlehrerin vorstellte, bekam ich ein „was willst du denn mit dem“ als ernüchternde Antwort. Egal, ich habs durchgezogen und verdammt viel lernen (müssen), was ich ursprünglich eigentlich gar nicht lernen wollte. Mein erstes Pferd war schon gleich von Anfang an das komplette Gegenteil von dem, was ich mir in meinem jugendlichen Leichtsinn vorgestellt hatte. Aber was ich damals haben wollte, hätte ich, oder es hätte mich, wohl in Rekordzeit in eine medizinische Behandlung befördert. Da hab ich zuerst mal überhaupt irgendwas lernen müssen.

Vielleicht bekommt man doch das Pferd, das man gerade braucht …, oder das man gerade noch erträgt …, oder das man verdient??? Und außerdem folgt dem Sprichwort: “Das Leben ist zu kurz, um schlechte Pferde zu reiten” ein ergänzendes “… aber durch eins muss man sich mal durchgebissen haben!”

Okay, ich seh´s ein, ein Pferd-Mensch-Experiment habt ihr gut bei mir, liebe Reitschülerchen! Aber dann bitte was draus lernen!

Für irgendwas sind die vom Himmel gefallenen Pferde sicherlich doch auch gut, das muss ich wohl eingestehen, und sei es nur, dass zumindest ich beim letzten Pferdekauf endlich einen ganz genauen Kriterienkatalog dabei hatte und zudem zwei ganz unverblümt ehrliche Kaufberaterinnen, die auch fleißig ihre Vetokarten zückten: „Nein Ulla, wir schauen nicht zu, wenn du dich mit der umbringst.“ „Was willst du mit so nem komischen Hals? Du wolltest reiten und nicht reparieren.“ „Die Sehne ist und bleibt angelaufen, wenn die Bandage ab ist!“ Nichts hatte da ne Chance, kein „die kuckt aber doch sooooo süß“ oder „das krieg ich schon irgendwie hin geritten“.

Ja, Reitlehrer sind selbst nämlich oft auch nur emotional unberechenbare Allesanschaffer und müssen unter Kontrolle gehalten werden. Glücklicherweise hat es dann völlig Vetokarten-frei letzten Endes genau das Pferd getroffen, das mir schon auf der Verkaufsseite am besten gefallen hat (weil sie soooooo süß gekuckt hat, aber psssssst).

Trotzdem haben meine Reitlehrer wahlweise theatralisch ne Augenbraue gehoben, als sie die Abstammung erfahren haben oder schlichtweg „du warst halt schon immer etwas verrückt“ in den Bart gebrummelt. Dieses garstige Pack ist halt mit nix zufrieden!

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